Interview
mit Joschka Fischer |
Interview mit Herbert Steffny am 22.10.1997 veröffentlicht in Laufmagazin SPIRIDON Heft 12/1997 Joschka Fischer war 1997 noch
Fraktionsvorsitzender der Grünen, lief bereits ein Jahr
und hatte aber |
mehr zur Metemorphose |
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Helmut Kohl geht jedes Jahr zum Heilfasten und nimmt trotzdem zu. Sie haben 30 Kilogramm in 10 Monaten abgenommen, wie geht denn das? Ernährungsumstellung, sehr viel Sport, um nicht zu sagen fast an die Grenze zum Leistungssport und beides zusammen lief auf eine ziemliche Lebensänderung raus. Das bedeutet keinen Alkohol mehr, viel Gemüse, Obst, Salat, Kohlenhydrate, keine tierischen Fette mehr nur etwas Milch fürs Müsli morgens und Joghurt. Ich verzichte auf das Mittagessen - statt dessen Banane, Obst und ein bißchen Joghurt, frühmorgens laufen, abends Sportstudio, so habe ich zwischen 800 und 1200 Gramm Gewicht in der Woche gemacht. Innerhalb eines Jahres bin ich erfolgreich auf stabile 78 Kilogramm gekommen und dabei bleibt’s. Was lief den eigentlich früher falsch? Als ich 1985 zum ersten Mal Minister wurde, hörte ich mit dem Rauchen auf und das in Verbindung mit dem Stress, das war die absolute Horrorzeit. Da fing ich an dicker zu werden. Gaben sie das Rauchen wegen des Umweltministeriums auf? Drei Monate nach Beginn meiner Amtszeit hatte ich auch eine sehr schwere Grippe, offensichtlich ist mein ganzes Immunsystem zusammengebrochen. Gleichzeitig wußte ich, daß Rauchen für einen grünen Umweltminister ein ständiges Problem bleiben würde. Da habe ich den Tabaksbeutel hinter mich gebracht und es war vorbei. Und dann kamen die Kalorien... ...und dann kamen die Kalorien in Verbindung mit einem unglaublichen, brutalen Stress. Ich stand in der Regierung, der Öffentlichkeit und innerparteilich unter einem ungeheuren Druck. Dann der Fundi-Realo-Konflikt, die Parteimehrheit im Rücken wollte das Gegenteil. Ich hatte zunächst von der Verwaltung keine Ahnung und war schlecht ausgestattet. Tschernobyl kam dann, und ich hatte keine Zuständigkeiten. Das war wirklich die härteste Zeit, und dann habe ich gefressen, gefressen und gefressen. Um abends wieder runterzukommen habe ich dann auch getrunken, und dann mußte ich noch reden, also habe ich geredet und dann kommst Du nach hause und da war ich allein, da habe ich wieder zugeschlagen. Damals fraß ich mir einen Panzer an, und das hat auch geholfen. Aber dann war ich in der Mühle drin und es ging weiter, weiter und weiter und immer wieder diese Kompensation. Hinzu kommt dann das kritische Alter so Mitte dreissig und ich bewegte mich auf die vierzig zu. Sie können und wollen sich mehr gönnen und werden träger und sofaorientierter. War es für Sie auch ein Anlaß abzunehmen, weil Sie dem Bundeskanzler auch äußerlich immer ähnlicher wurden? Nein, nein. Es ging mir körperlich und seelisch nicht sehr gut. Ich hatte Probleme mit meinem Herzen, ich hatte Herzstiche und wurde nachts davon wach. Es konnte so nicht weiter gehen. Es gab einen äußeren Anlaß. Als mich meine Frau verlassen hatte, mußte ich grundsätzlich mit meinem Leben etwas radikal anders machen, sonst bekomme ich ein wirklich ernstes, auch körperliches Problem. Mit diesem Lebensstil so weiter machen wie bisher, hätte in einer solchen Lebenskrise den sicheren Weg in den Herzinfarkt bedeutet. Das mußte anders gemacht werden. Wie sind Sie denn statt einer Diät ausgerechnet auf Laufen gekommen? Eine Diät nützt nichts. Sie kann wie z.B. beim Heilfasten aus gesundheitlichen Gründen für eine bestimmte Zeit sinnvoll sein, aber nicht mit der Perspektive: Ich kann mich nicht mehr leiden, ich bin zu dick, ich möchte anders werden. Das führt dann nur in ein schlechtes Gewissen. Der Jojo-Effekt, das ist so ziemlich das schlimmste was man erleben kann, weil das immer wieder stattfindende Scheitern zu unheimlich negativen Rückkopplungen führt. Es eskaliert zur Freßsucht, eine Form der Selbstzerstörung. Ich habe mein Leben geändert, ein neues Programm geschrieben und das alte weggeworfen, das ist der entscheidende Punkt. Das Laufen spielte dabei eine Rolle, weil ich als Jugendlicher und auch später bevor ich im Bundestag war, immer Sport getrieben habe. Ich war immer ein sportbegeisterter Mensch. In meiner Jugend habe ich Leistungssport, Radfahren betrieben, immer Fußball gespielt und auch als ich schon sehr übergewichtig war damit nicht aufgehört. Warum Laufen? Ich suchte eine Sportart, die Kalorien fordert. Ich reduzierte die Zufuhr und forderte dem Körper gleichzeitig mehr von seinen Reserven ab. Gleichzeitig hoffte ich, daß der Körper durch den veränderten Bedarf sich selbst eine anderes Ernährungsprogramm gibt. Als ich im September 1996 anfing, war ich nach 400 Metern, einmal um den Bundestag, platt ich konnte nicht mehr. Aber die Erfolge waren dann relativ schnell, morgendliches Joggen und Training auf dem Laufband im Studio. Mittlerweile laufe ich spätnachmittags oder abends längere Strecken. Zehn Kilometer und länger passen mir morgens nicht in den Biorythmus. Aber nach Morgenläufen stellte sich eine geistige Frische ein. Aus 400m wurden irgendwann nach 9 Monaten 20 Kilometer. Welche Sportarten machen oder machten Ihnen denn besonders Spaß? Fußball macht mir immer noch viel Spaß. Das Laufen spielt dabei eine große Rolle. Mittlerweile bin ich wieder zum Arbeitspferd im Mittelpferd aufgerückt was ich in der Jugend eigentlich immer war, was aus nachvollziehbaren Gründen über Jahre nicht mehr möglich war. Mein Aktionsradius war mit diesem Übergewicht auf die Größe eines Bierdeckels zugeschnitten. Als Jugendlicher war ich über drei Jahre aktiver Radsportler und habe auch Handball gespielt. Sport hat mich immer interessiert. Ich habe auch ohne in einem Verein zu sein mit Gewichten trainiert. Auch die wilden Siebziger Jahre erforderten ein gewisses Training. Politik auf der Straße in Frankfurt setzte körperliche Fitness voraus und die war damals auch gegeben. Schauen Sie auch im Fernsehen Sport an? Selbstverständlich Fußball, auch Boxen und große Leichtathletikereignisse, die Laufsportarten haben mich immer begeistert, teilweise auch Schwimmen obwohl ich kein großer Schwimmer bin und mich bis heute nicht dafür begeistern konnte. Mit Golf tue ich mich schwer und beim Tennis ist mir der Gegner zu weit weg. Ist Laufen für Sie mehr als Abnehmen? Da gab es verschiedene Phasen. Am Anfang war das Laufen eine reine Über-Ich-Leistung, d.h. ich habe mich dazu gezwungen. Dann gab es die Erfahrung, daß es mir eine andere körperliche Fitness verschafft, und gleichzeitig einen anderen Tageseinstieg, dann kam die erste meditative Erfahrung hinzu, mit einer längeren Strecke ein gewisser „feel good“ Effekt. Je länger die Strecke wurde, und je austrainierter ich wurde, desto mehr trat die Frage der körperlichen Erschöpfung in den Hintergrund. Es sind heute mehr auch Konkurrenzdinge, wie: welche Zeit, welche Strecke? Aber die meditative Seite tritt mehr und mehr in den Vordergrund. Ich finde eine innere Ruhe, die ich sonst nicht gefunden habe. Dieser meditative Aspekt gibt mir sehr viel für mein Berufsleben. Stress kommt nur schwer an mich ran. Und das finde ich, ist eine völlig neue und sehr, sehr gute Erfahrung. Aber damit ich nicht mißverstanden werde, das heißt nicht, daß mich die Dinge nicht berühren. Im Gegenteil, ich bin heute wesentlich belastungsfähiger als früher, ich bin auch im Kopf schneller und beweglicher als vorher. Aber es ist nicht mehr das Gefühl, als ob die Probleme die Seele im Griff haben. Diesen Würgegriff der Probleme um die eigene Seele löse ich unter anderem beim Laufen. Wenn ich schreibe nehme ich mir bestimmte Dinge vor, die ich beim Laufen ausformulieren will. Ich denke Dinge durch, ich löse Probleme. Dazu gehört auch Naturerleben, aber durch den eigenen Körper, der ist dann ein Teil der Natur, das merkt man, wenn man keucht, wenn man schwitzt, wenn man seine Muskeln spürt. Ich gehöre nicht zu den Läufern, die mit schweigendem Blick durch die Landschaft traben, eher mit einer Starken Konzentration auf’s Laufen und auf mich selbst. Jeder hat so seine Droge. Michael Schuhmacher antwortete in einem Stern Interview auf die Frage, ob er beim Rennfahren wie beim Laufen Glücksgefühle habe mit: „Nein, Joggen ist eine stupide, eintönige Sache.“ Das ist es für mich nicht, sonst würde ich es nicht so intensiv betreiben. Ich habe mich z.B. auch gefragt, warum ich meinen geliebten Rotwein nicht mehr anfasse. Und ich meine nicht das Saufen, sondern das Trinken, ein oder zwei Gläser, das läßt sich ohne weiteres mit einer gesunden Ernährung verbinden. Wein ist ein wunderbares Kulturprodukt. Besonders im Rotwein steckt unglaublich viel Glückserlebnis, und zwar gerade dann, wenn man nicht säuft. Wer säuft braucht keinen guten Wein. Ab einem bestimmten Pegel merken Sie das Großartige nicht mehr. Aber es interessiert mich nicht mehr, nicht aus ideologischen Bedenken. Das ist vielleicht ein zweites Geheimnis. Ich bin nicht zum Asketen geworden deswegen. Ich esse nach wie vor gut, aber nicht mehr alles, sondern sehr bewußt ausgewählt. Ich koche sehr gerne. Auch beim Kochen gibt es ein meditatives Erlebnis. Der Alkohol wäre mir jetzt zuviel. Mir ist es offensichtlich gelungen mein Suchtverhalten auf das Laufen, ein der Biologie gemäßeres Suchtverhalten als das Völlen zu übertragen. Ihr Weinflaschen verstauben also im Keller? Die ruhen in Frieden, das bekommt der Flasche gut, den späteren Gästen auch. Aber der Unterschied zwischen dem Wein und Menschen ist, wenn der Wein in Frieden ruht, dann wird er garantiert eine wundervolle Auferstehung erfahren, aber wenn wir in Frieden ruhen, da ist dann das ewige Ende offen. Insofern hat’s der Wein besser. Die meisten haben angeblich für ihre Fitness keine Zeit. Wie schafft es ein viel beschäftigter Politiker sich das Laufen in seinen Terminplan einzubauen? Es gibt Zeiten, wo man auch das Training einschränken muß. Aber, wenn ich überlege, was ich früher in Kneipen verbracht habe, was ich für den Erfolg der Fraktion, Partei und meiner eigenen Person an völlig unnötigen Terminen an Zeit vergeudet habe. Heute habe ich immer meine Sportsachen und meine Turnschuhe dabei. Eine Stunde dazwischen finde ich immer, notfalls auch ganz früh oder spät, wenn es schon dunkel ist. Es gibt immer eine Lücke. Wenn ich mich nach langen Sitzungstagen so richtig kaputt fühle, dann habe ich das Laufen noch viel nötiger und bin hinterher erfrischt, und ich liebe dann beim Laufen auch die Einsamkeit. Aber ich will damit nicht missionieren. Wie reagieren denn die anderen Politiker auf Ihre Abnehmrezeptur? Na ja, die gucken halt etwas skeptisch. Man sagt mir: „Es würde jetzt reichen, sonst käme man zuhause selbst zu sehr unter Druck.“ Ich habe erstaunlich viele Zuschriften bekommen, wie ich das gemacht hätte. Ich habe selbst über Jahre hinweg die Kraft nicht gehabt das zu machen und ich werde heute nicht die Nase über jemand rümpfen der sie nicht hat. Ohne Anstoß von außen ist es nicht einfach aus diesem Trott rauszukommen. Die Kraft steckt in jedem drin, aber die psychische Barriere ist der entscheidende Punkt. 100 Milliarden sollen Ernährungs- und bewegungsabhängige Krankheiten verursachen. Würden Sie als Gesundheitsminister jedem ein Rennrad oder ein paar Laufschuhe verschreiben? Nein, das wäre ja furchtbar! Wir sind alle erwachsene Menschen, jeder ist seines Glückes Schmied. Es kann keine Diktatur der Gesundheit geben, davor kann ich nur warnen. Es gibt ein Recht auf „no sports“, und es gibt viele dicke Menschen, die glücklich sind, die damit umgehen können und die alt werden. Ich glaube nicht an die Lebensverlängerung durch Sport oder ähnliches. Das Übermaß führt in der einen wie in der anderen Richtung zu einer großen Gefährdung. Ich litt unter meinen Pfunden und bin froh, daß ich das jetzt so gelöst habe, aber ich will daraus keine Philosophie oder Verpflichtung machen. Es gibt verschiedene Lebensstile, die man glücklich und sehr bewußt leben kann. Ich betone, bewußt muß man eben damit umgehen. Was fasziniert Sie denn nun ausgerechnet an Marathon, Laufen geht doch auch kürzer? Sicher geht es kürzer, aber es läuft und läuft und läuft..., dann sind die 10 Kilometer überschritten dann 15, 20, 25 und spätestens dann denkt man: warum nicht mal? Wenn der Gedanke erst mal gekommen ist und es weiter läuft und läuft, dann muß man’s auch wohl irgendwie angehen. Wenn man genügend trainiert hält man das durch. Das ist dann eine Herausforderung. Wenn man mal erst die 40 überschritten hat und dann neu einsteigt oder beginnt, dann stellt man mit Erstaunen fest, was ein Körper dem man das nicht mehr zugetraut hat noch zum leisten in der Lage ist. Im Zustand des „letzten Frühlings“ bekommt die Königsstrecke des Ausdauersports natürlich einen besonderen Reiz. Noch einmal! Sie bewundern Spitzensportler und haben nun auch selbst Marathonambitionen. Die Grünen gelten bei aber vielen eigentlich immer noch als Leistungsverweigerer? Nein, die Grünen waren sehr erfolgreich, weil sie geleistet haben, nicht weil sie Leistung verweigert haben, sonst gäbe es uns nicht in dieser Größenordnung auf allen politischen Ebenen. Wogegen ich schon immer etwas hatte ist Leistungsterror. Ich hasse z.B. die typischen Sportmütter, die über ihre Kinder austragen, was sie selbst nicht gebracht haben. Ich hatte solche Erfahrungen dieses unglaublichen Drucks auch in meiner Jugend als Radsportler. Es wäre auch absurd, wenn ich angesichts meiner Biographie behaupten würde, ich wäre Leistungsverweigerer. Wenn ich von etwas überzeugt und motiviert war, dann wollte ich das auch, Leistung macht dann Spaß. Das Wesen von Leistungssport ist auch ein gutes Stück Glückserfüllung und das ist eine positive Seite. Wovon ich überhaupt nichts halte, ist die Leistungsfetischisierung. Wenn man Leistung zum Fetisch erhebt, dann ist der Sport nur das Spiegelbild des gesellschaftlichen Problems. Günter Wallraff soll mal gesagt haben, es gäbe keine faschistischen Marathonläufer... ... das weiß ich nicht, ob es die nicht gibt, wenn ich da an Jörg Haider denke, ohne den jetzt direkt als Faschisten zu bezeichnen, aber er bewegt sich dann und wann da in bedenklicher Nähe. Ich würde den Satz so nicht unterschreiben. Freuen sie sich als Freund der italienischen Küche schon auf die Nudelparty am Abend vor dem Marathon? Das ist für mich völliges Neuland. Ich kann mir das noch nicht so recht vorstellen. Nun bin ich alles andere als ein geselliger Mensch. Zumindest beim ersten Mal läßt mich das Ereignis nicht gerade gleichgültig und ob ich am Vorabend großen Bock auf Party und Nudeln im Kreise von Sportsfreunden und -freundinnen Lust habe, das weiß ich nicht. Vielleicht sitze ich lieber zuhause und esse alleine meine Pasta. Das lasse ich mal in Ruhe auf mich zukommen. Beim ersten Mal kommt es nur auf’s Ankommen an. ------------------------------------------------------------------------------ P.s.: Ja und das schaffte Joschka Fischer auch mit 3:41 Stunden kurz nach seinem 50. Geburtstag beim Hamburg Marathon 1998, danach lief er noch Marathon in New York 1999 und in Berlin 2000 jeweils als Bundesaußenminister und noch unter vier Stunden! Nach
dem 11.9.2001, dem Attentat auf die Twin Towers in New York, war's
vorbei mit dem Laufprogramm... wir waren in der Vorbereitung auf den
Frankfurt Marathon 2001. Statt dessen nur noch
Sicherheitsempfehlungen, Krisenmanagement, Stress ohne Ende und
Reise-Diplomatie. Das (vorläufige?) Ende seiner Läufer-Laufbahn...
leider ja, denn der Grünen Politiker, ansonsten mit olympischer
Willensstärke ausgestattet, konnte sich später leider nicht mehr zum
Fitness-Joggen aufraffen, |