Frage
von Reiner R.:
Lieber Herbert Steffny,
ich trainiere jetzt seit 4 Jahren nach Ihren
Trainingsplänen (Fit for Fun Buch und Das
große Laufbuch) und habe es geschafft vom kurzatmigen
Coutchpotato zum respektablem Marathonläufer (3:22 / ich
bin Jahrgang 1960) zu mutieren. Das hat auch meine Frau
(Jahrgang 1963) infiziert, so dass sie auch angefangen
hat, nach ihren Trainingsplänen zu trainieren. Dann hat
auch sie den Entschluss gefasst, einen Marathon (Berlin
2006) zu laufen. Heute hat sie einen Leistungstest
gemacht, der aus meiner Sicht nicht zu ihren bisherigen
Leistungen passt. Der Arzt hat ihr vom Marathon
abgeraten (über 6 Stunden usw.) Die gemessen
Lactatwerte sind so hoch, dass ich sie nicht
nachvollziehen kann.
Folgendes wurde gemessen:
2.00 m/s - 2,2 mmol / 2,25 m/s - 3.1 mmol / 2,5 m/s 3,4
mmol / 2,75 m/s - 3,9 mmol / 3,00 m/s - 5,7 mmol
Sie ist Anfang 2005 den Halbmarathon in Berlin in
2:30 Std gelaufen. Trainiert jetzt streng nach
ihrem 5:15 Plan in der 7 Woche. 10 km Test im
Stadion in 64 Minuten. Am Sonntag ist sie die 27
km in 03:03 gelaufen (21 km Zeit bei diesen Lauf 2:22
Std.). Danach war sie zwar ganz schön geschafft, aber
nicht völlig fertig und konnte auch noch zum Ende hin
vernünftig sprechen.
Sie trainiert die ganze Zeit mit einer Freundin, die sie
meist "bremst" und nach meinem Eindruck (und
auch der beiden Frauen) nicht so leistungsfähig ist. Die
Freundin war letzte Woche bei ihrem Leistungstest bei
einem anderer Arzt, der ihr gesagt hat, dass sie 4:50 Std
laufen kann.
Ich weiß, dass Sie keine Ferndiagnose stellen können,
trotzdem möchte ich Sie fragen, ob diese Werte aus Ihrer
Sicht zusammen passen. Meine Frau ist natürlich jetzt
erst mal schrecklich frustriert und ich würde sie gerne
wieder aufbauen. Ich danke ihren schon jetzt herzliche
für Ihre Hilfe.
Liebe Grüße
Antwort
von Herbert Steffny:
Hallo Herr
R.,
natürlich kann ich eine Ferndiagnose nur auf
Basis der Daten, die Sie mir übermitteln, die
ich auch erst schnell noch umrechnen musste ;-)) geben.
Und das auch nur sehr begrenzt. Für einen Marathon zu
schaffen sollten unbedingt auch orthopädische Aspekte
(Gewicht, Verletzungsanfälligkeit und Fehlstellungen)
hinzugezogen werden.
Fehlermöglichkeiten beim Laktattest wie
Messung bei fast leeren Energiespeichern nach
anstrengendem Training in den Tagen zuvor sollten
natürlich nicht gemacht worden sein, denn die können
die Resultate beeinflussen. Der Leistungstest, sofern er
richtig durchgeführt würde, bedeutet ungefähr, dass
eine Leistung von maximal 5:15 Stunden wie der
ausgewählte Plan möglich sein könnte (7:24min/km =
5:13 Stunden). Diese Leistung entspricht dem 3,1
Laktatwert, wäre aber ziemlich am Limit gelaufen, das
sollten also nur erfahrene Marathonläufer probieren.
Die gute
Nachricht ist: Eine Zeit unter 6:00 Stunden kann drin
sein, aber Ihre Frau sollte nicht die 5:15 versuchen. Bei
der Premiere empfehle ich Ihrer Frau eher eine
Zeit von höchstens 5:45 Stunden anzustreben
(mit den auch im Buch empfohlenen Gehpausen an den
Getränkestationen, s.u.). Der Wert von Laktat 2,2
entspricht eher einer sinnvollen Marathonbelastung (beim
Debüt) und käme auf ein Durchschnittstempo von 8:18min
pro Kilometer. Das wären um 5:50 Stunden für den
Marathon. Ausserdem müssen es die Knochen mitmachen,
denn Laktatwerte sagen über die orthopädische
Belastungsfähigkeit nichts aus.
Messwerte Ihrer
Frau und von mir umgerechnetete Werte der
Leistungsdiagnostik |
m
/ sec |
km
/ h |
min:sec
/ km |
Laktat
(mmol/l) |
meine
Empfehlung für Marathontraining |
2,00 |
7,2 |
8:18 |
2,2 |
gut, da
Grundlagenausdauer, Fettstoffwechsel, hier am
meisten trainieren! |
2,25 |
8,1 |
7:24 |
3,1 |
Bereich
des Tempodauerlaufs, selten im Training |
2,50 |
9,0 |
6:42 |
3,4 |
grenzwertig,
seltener im Training, Bereich des maximalen
Marathontempos |
2,75 |
9,9 |
6:06 |
3,9 |
Bereich der 4mmol
anaeroben Schwelle, zu hoch für
Marathoneinsteigertraining |
3,00 |
10,8 |
5:36 |
5,7 |
roter Bereich -
nur selten laufen! Kommt in der Endphase des 10km
Rennens vor |
Die
Ausdauerleistungsfähigkeit Ihrer Frau würde ich
(kriminalistisch) daher zusätzlich und unabhängig von
den Laktatwerten aus den geschilderten Trainingseckdaten
und 10km Test ablesen. Wer 64min auf 10km kann,
sollte maximal ungefähr 2:22 auf Halbmarathon
laufen können. Das hat Ihre Frau im Rahmen den 27km
Laufs sogar erreicht, war aber eher
"geschafft", d.h., der Lauf war eben ziemlich
am Limit. Immerhin ein Fortschritt und besser als 2005! Dabei ist sie
allerdings von meinem Marathontrainingsplan
erheblich abgewichen und schneller gelaufen (6:47 statt
7:15!!!). Das
ist ein klarer Fehler, den leider viele
begehen. Im Glauben schneller werden zu wollen, wird viel
zu schnell trainiert und die Grundlagenausdauer
vernachlässigt! Der Halbmarathontest, wo sie
ausnahmsweise zeigen kann, was sie drauf hat, sollte doch
erst eine Woche später erfolgen! Da sie offenbar nicht
viele Ausdauerreserven hat, müssen die langen Läufe und
Dauerläufe unbedingt langsamer gestaltet werden. Sie
lief beim genannten 27 km Lauf nach der obigen Tabelle
bei rund 3,4 Laktat, also von den Laktatwerten viel zu
hoch, im rot/grünen Grenzbereich und
überwiegend in der Kohlenhydratverbrennung. Das
empfohlenere, langsamere Dauerlauftempo (7:15/km und
langsamer, bzw. Laktat weit unter 3 mmol/l bei Ihrer
Frau) ist orthopädisch schonender und mehr in der
wichtigen Fettverbrennung. Einige Gehpausen,
um die Laktatwerte immer wieder etwas runterzubringen
sind auch schon im Training wichtig und in meinem Plan
für Training und Wettkampf vorgesehen! Eine kohlenhydrathaltige
Kost beim Wettkampf und auch im Alltag erscheint
mir notwendig, wenn sie durchkommen will.
Die Gründe unterschiedlicher
Ausdauerleistungsfähigkeit sind sehr
verschieden, z.B. Gewicht, aber v.a. die
Muskelfaserzusammensetzung, die genetisch weitgehend
festgelegt ist. Ein Sprintertyp ist kein
Ausdauertyp usw. (siehe hierzu und den
oben angespochenen Themen auch ausführliche Erklärungen
in das Das große Laufbuch). Darin kann sich die Freundin von
Ihrer Frau unterscheiden, dass sie nämlich, je länger
die Strecke wird, bessere angeborene Ausdauerqualitäten
besitzt. Vielleicht trainiert sie auch langsamer und
somit im wirksameren aeroben und Fettstoffwechselbereich?
Natürlich kann verschiedener Testaufbau der Ärzte auch
(zusätzlich) eine Ursache für Unterschiede sein.
Wenn sich Ihre Frau auch auf die von mir empfohlenen
Gehpausen auch im Rennen einläßt und zukünftig
langsamer trainiert, dann kann sie den Marathon wie
gesagt auch deutlich unter 6 Stunden schaffen... solange
Sie überwiegend gelaufen ist, ist Sie
Marathonläuferin ;-))
Viel Glück, in die Knochen hören und nicht verzagen
Herbert Steffny
|