Ratgeber: Marathontempo bei der Premiere

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Wie Marathon beim Debüt richtig einteilen?

Frage von "Flo" R.:

Lieber Herr Steffny,  

ich habe die letzten 9 Wochen (fast genau) nach Ihrem Trainingsplan "Marathon in 3:30 h" aus "Das große Laufbuch" trainiert (vorher bin ich Strecken bis 12km gelaufen).

Nun habe ich eine Frage, zu der ich im Buch keine Antwort fand: Nächste Woche möchte ich nun meinen ersten Marathon laufen. Ihre Trainingsvorgabe für den Halbmarathon konnte ich sogar leicht unterbieten (1:36 h statt 1:40 h), bin diesen aber alleine gelaufen und in nicht ganz flachem Gelände (erste 10 km 200 Höhenmeter gut gemacht, zweite 10 km 200 Höhenmeter bergab). Während ich mich also für die Halbdistanz gut vorbereitet fühle, habe ich bei den langen Läufen (30-32 km) gespürt, dass die letzten 5 Kilometer schon recht schwer waren und der Puls am Ende gut 10 Schläge pro Minute nach oben ging.

Nun frage ich mich, wie schnell ich den Marathon angehen soll. Bei einem Tempo von 5:30 min pro km (Endzeit: 3:50h), was Sie als realistisches Ziel für ein Debüt angeben, würde ich vielleicht viel Potential auf der Strasse lassen (im Training bin ich meist auf Puls gelaufen und ein Tempo von 5:30 min für 10 km bei einem Durchschnittspuls von rund 130 gelaufen). Oder soll ich die 5:00 min pro km anpeilen und erwarten, dass ich mich durch das Training ja noch weiter verbessert habe, so dass mir die 2. Hälfte nicht so schwer wie erwartet fallen dürfte? Kann auch meine Größe und Gewicht (1,96m / 97 kg) der Grund dafür sein, dass mir die 2. Häfte im Vergleich zu anderen (leichteren) Läufern schwerer fallen wird? Falls Sie die Zeit für eine Antwort finden, wäre das super.
Antwort hin oder her: das Buch ist wirklich klasse!!!

Sportliche Grüße, Flo

 

Antwort von Herbert Steffny:

Hallo Flo,

vielen Dank zunächst für das Buchlob! Die Zwischenzeiten-Tabellen und Renneinteilung für Marathon-Debütanten schildere ich im
"Großen Laufbuch" allerdings schon auf den S.177 bis 184 an verschiedenen Stellen und an Beispielen. Auf S.193 schildere ich die gleichmäßige Renneinteilung für erfahrene Läufer. Da sollten Sie doch noch mal nachlesen. Auf die gleichmäßige Renneinteilung für erfahrene Marathonläufer gehe ich auch hier ein.

Lassen Sie sich über die Ergebnisse auf den Unterdistanzen nicht zu sehr anstacheln, sondern nehmen das mal beruhigend zur Kenntnis. Der Marathon ist dann nochmal eine andere Baustelle. Ungeduld ist jedenfalls keine gute Eigenschaft für Marathonläufer. Sie sind mir für einen Marathondebütanten etwas zu ungestüm. Für das erste Mal ist understatement ein viel besserer Ratgeber! Bei der Premiere sollte man erst mal Marathonläufer werden und gut durch bzw. ankommen. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass man noch schneller hätte laufen können - na und? Dann laufen Sie erfahren eben nochmal und gehen dann erst in die Vollen! Ich habe es selbst auch nicht anders gemacht. Hätte ich mir beim ersten Marathon durch einen zu übermütigen Beginn den Ekel gelaufen, weil ich zu hoch gegriffen hätte, wäre ich vielleicht nie Marathonläufer geworden! Was für ein Gedanke!

Angesichts Ihrer Größe und dem dadurch bedingten hohen Gewicht ist für Sie je länger die Strecke ist, ohnehin mit immer mehr Leistungsabfall zu rechnen, was bei 10km und Halbmarathon noch ganz nicht so schlimm ist, da kommt man eher durch. Sie können also nur bedingt die 4,666er Formel, die für erfahrene Wettkampfläufer gilt, anwenden (zu den Berechnungen der realistischen Wettkampfzeiten siehe Tabelle S.136 und Tabelle S.183). Dazu kommt, dass ein Debütant noch gar nicht wissen kann, ob er überhaupt ein "Fettstoffwechseltyp", also wirklich langzeitausdauernd ist. Das Wetter kann einem unerfahrenen Läufer zusetzen, der Wasserhaushalt, ebenso das Essen und Trinken unterwegs, vielleicht die unbekannte Streckenführung, orthopädische oder Kreislaufprobleme und vielleicht begegenet man dem inneren Schweinehund auch heftiger als sonst, usw... viele Gründe mit Demut und Respekt den ersten Marathon langsamer anzulaufen. Nochmal: Ziel kann nur sein gut ankommen! Die Zeit ist erst mal sekundär.

Sie haben Angst davor mit einem zu langsamen Beginn "vielleicht viel Potential auf der Strasse lassen", aber genau das Gegenteil ist der Fall: wenn Sie zu schnell beginnen, ist das Risiko viel größer zu scheitern. Sie können mit einem langsamen Beginn auf die Debützeit in der zweiten Hälfte noch deutlich schneller werden. Die Weltrekorde von Paula Radcliffe, Paul Tergat und aktuell auch von Haile Gebrselassie in Berlin 2007 und 2008 wurden jeweils mit einer zweiten etwas schnelleren Hälfte gelaufen..... Beginnen Sie also die erste Hälfte nicht auf ein 3:30er Tempo (5:00min/km), sondern laufen stur und diszipliniert auf 3:50 Stunden, bei kühlem Wetter vielleicht auf 3:45 an. Wenn es Ihnen bei 21 Kilometern gut geht, seien Sie froh, dann können Sie immer noch leicht beschleunigen, überholen viele Läufer und kommen glücklich ins Ziel! Sie hätten in diesem Falle von Ihren Glykogenreserven, dem "Superbenzin" der Muskeln noch genug Reserven. Bei einem zu schnellen Beginn, wären diese vorzeitig leer und ein Einbruch, der "Mann mit dem Hammer", der "Hungerast", die "Mauer" wäre die Folge. So wünsche ich jedem seine Premiere. Ab dem zweiten Marathon dürfen Sie dann meinetwegen ehrgeiziger und riskanter laufen.

Keep on running, viel Geduld und viel Erfolg beim Marathon!

Herbert Steffny

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