Frage von
Frau A. L.:
Lieber Herr Steffny,
ich habe eigentlich gedacht, dass man für einen Marathon vorher
viel trinken sollte und auch während des Rennens reichlich
aufnehmen sollte, um nicht auszutrocknen und Krämpfe zu
bekommen. Nun irritieren mich aktuelle Zeitungsberichte aus der
Tagespresse und Online-Nachrichten, dass man im Marathon weniger
Wasser trinken sollte. Jetzt bin ich etwas durcheinander und
würde gerne dazu mal ihre Meinung als Marathon-Experte einholen.
Vielen Dank im voraus.
Antwort von
Herbert Steffny:
Hallo Frau L.,
leider wie so oft bei vielen Meldungen, viel Lärm um wenig, bzw.
hier "Sturm im Wasserglas". Das ist
alles nicht neu, sondern nur mit falschen
Schlussfolgerungen in den Überschriften aufgebauscht.
Das Problem ist nicht etwa zuviel Wasser trinken, sondern der
Natrium-Chloridmangel, wenn Sie kochsalzarme oder -freie
Getränke oder nur Zuckerzeugs (reine Cola, Limo, schlecht
zusammengesetzte "Sportgetränke", gezuckerten Tee)
oder reines Wasser im Marathon zu sich nehmen würden. Kochsalz
im Wettkampfgetränk fördert nämlich die Wasseraufnahme.
Fehlt Kochsalz, können Sie in der Tat mit Leistungseinbussen,
Bewusstseinsstörungen usw. rechnen, da das Wasser in das
Körpergewebe übergeht und Ödeme in Lunge, Gehirn, geschwollene
Beine usw. verursachen kann. Im schlimmsten Falle sogar bis zum
Tode. Das ist aber wie gesagt überhaupt alles nicht neu, denn
schon vor Jahrzehnten empfahl der "Laufpabst"
Dr. van Aaken zur Kochsalzaufnahme beim
Langstreckenlaufen. Man nahm damals Salztabletten
mit (Fitogentabletten), die mit Wasser verdünnt aufgenommen
werden mußten. Das wurde alles wieder vergessen, wie so oft, und
dann kommen die Diskussionen, wenn man lange dabei ist und das
grinsend verfolgt, in regelmäßigen Zyklen wieder als brandneue
Erkenntnisse ("... eine neue amerikanische Studie, der
University of.... hat gezeigt, dass..) in den Medien-Dschungel.
Auch in meinen
eigenen Wettkampfgetränken war und ist früher wie heute immer Salz
drin und in meinen Lauf- und Ernährungsbüchern empfehle ich seit fast 10 Jahren die
Kochsalzaufnahme. Erst in letzter Zeit findet das scheinbar
wieder Gehör. Die Industrie hatte zwischenzeitlich den
Schwerpunkt aufs Magnesium verlagert und den Leuten eingeimpft: Magnesiummangel
bedeutet Krämpfe und damit viel Geld verdient. Bei
nicht wenigen Marathonläufern, die Magnesium noch vor dem Start
meinen schlucken zu müssen, ging dann der Lauf wegen Durchfalls
wörtlich in die Hose. In Wirklichkeit ist es fast immer
Wasser-, Kochsalzmangel, die Leistungsgrenze und verhärtete
Muskulatur (also "Dehnungsmangel"). Magnesium ist natürlich wichtig,
aber nicht für alle Krämpfe verantwortlich. Kochsalz hatte
zeitweilig zudem einen schlechten Ruf, weil es blutdrucksteigernd
wirken kann. Zur Zeit erlebt es eine verdiente
Wiederauferstehung. Sie als gesunde Sportlerin (wohl ohne
erhöhten Blutdruck?!) betrifft das also wohl gar nicht. Zudem
ließ sich an Magnesium mehr verdienen als am Kochsalz, weil das
jeder zuhause billig im Salzstreuer hat. Eine bekannte Erfahrung
ist auch: wer bei längeren Radtouren oder Bergwanderungen nur
Süßgetränke zu sich nimmt, wird irgendwann "mächtig Bock
auf was Herzhaftes" bekommen, also (salzhaltige) Landjäger,
Suppe oder Schinken und Käse. Eigentlich trivial: wer an seinem
Schweiß leckt, weiß warum.
Fazit: solange Sie eine Prise Kochsalz (1,5 Gramm /
Liter) in Ihrem Wettkampfgetränk haben, können Sie
keine sogenannte Hyponatriämie bekommen und
getrost reichlich (bei heißem Wetter) im Marathon trinken. Das
Limit ist viel mehr, wieviel der Körper an Wasser halten kann
und salopp formuliert wieviel der Bauch gluckert. Man kann
sicherlich insbesondere vor dem Marathon zuviel trinken und muss
gleich nach dem Startschuss in die Büsche oder aufs
Toilettenhäusschen. Wenn es also sozusagen unten gleich wieder
rausläuft, dann reicht das Trinken vor dem Marathon, mehr geht
nicht rein. Im Rennen ist die Wasseraufnahme ein
Kompromiss. Einerseits soll das Blut in der Muskulatur sein,
andererseits ist der Darm mit Wasser-, Elektrolyt- und
Kohlenhydrataufnahme beschäftigt und braucht dafür ebenfalls
Durchblutung. Daher hatten in den 60er und 70er Jahren sogar
Marathonbundestrainer von einer Wasseraufnahme im Marathon
abgeraten: "Ein guter Marathonläufer trinkt
nicht!" hieß es damals. Bei Hitzeschlachten
nachmittags im August quälten sich die armen Marathonläufer bei
Deutschen Meisterschaften durch. Auch dieses Gegenextrem war
natürlich falsch. Wie gesagt, das ganze ist ein Kompromiss und
etwas Blut muss man für die Verdauung schon abzwacken.
Natürlich folgert hieraus auch, dass - wer hätte es gedacht -
bei kühlen Verhältnissen mit wenig Trinken die besten
Leistungen erzielt werden. Leider ziehen sich zuviele
Freizeitläufer bei kühlen Wetter zu warm an. Da
Bewegung aber beim Sport warm macht, ensteht bald ein Wärmestau,
das Blut geht nun (statt in die Muskeln) in die Haut und versucht
über Schwitzen und Wärmeabstrahlung die Körpertemperatur zu
vermindern. Also am Start leicht frösteln wäre genau richtig.
Zuvor hat man eben einen Müllbeutel oder eine alte Jacke und
Hose abgestreift. Bei Wärme muss es zum Kühlen nicht nur
trinken sein. Kippen Sie bei Hitze sich einfach reichlich
Wasser über den Kopf. Sie sparen die ganze Trinkerei
und den Umweg über die Darmpassage, indem Sie es gleich ohne
Umweg, statt Ihrem wertvollen Schweiß auf die Haut bringen. Das
habe ich immer so getan und konnte kühlen Kopf wahren. Bei
Hitzerennen hatte ich oft meine größten Erfolge (z.B. beim New
York Marathon 1984 als Dritter). Am Start stand ich schon nass
da! Komischerweise tat das fast kein anderer Läufer...
Foto von mir beim Wasserüberkippen auf der Titelseite
der Homepage des New York City Marathons ;-))
Und nun viel Erfolg beim Marathon und beim sinnvollen Trinken
oder Wasserübergießen...
Ihr Herbert Steffny |